VACHENDORF – Der letzte Kilometer vom Axdorfer Berg nach Vachendorf nunter ist ja eine landschaftliche Augenweide – vorausgesetzt natürlich es ist nebelfrei. Da gleitet man gemütlich den Berg hinunter, den Blick auf das malerische Dorf, im Hintergrund die Chiemgauer Hausberge Hochfelln und Hochgern und im Dorf drunten thront – wie ein treuer Wächter, wie ein steinerner Zeitzeuge aus der Spätgotik – der Vachendorfer Kirchturm. Doch halt! Was ist das? Einem völlig verwirrten Autofahrer stockt der Atem, als er aus alter Gewohnheit auf die Kirchturmuhr blickt und… nichts sieht. Keine Zeiger. Einfach: nichts. Der Kirchturm, eigentlich das zuverlässigste Zeitmessgerät seit Menschengedenken, steht plötzlich völlig nackert da, wie ein verkatertes Wesen ohne Uhr im Alltagstrubel. Schuld ist der jüngste Restaurierungsauftrag: Die Uhrzeiger wurden abgenommen, gereinigt, neu vergoldet und befinden sich momentan in Passau. Agratt in Niederbayern auch noch! Aber, wer erklärt das jetzt den geplagten Pendlern?

Der Vachendorfer Bürgermeister zeigt indes Verständnis und sieht’s pragmatisch: “Nun, immerhin sparen sich die Leute jetzt an Haufen Stress. Anstatt dauernd auf die Uhr zu schielen, können sie die Aussicht genießen und den Tag einfach nehmen, wie er kommt!” Ein revolutionärer Gedanke: Leben ohne Uhrzeit. Vielleicht kann Vachendorf damit sogar touristisch punkten. Doch nicht alle sind begeistert: Der örtliche Bäcker Wagner, der seine Semmeln bislang immer nach der Kirchturmuhr backte, beschwert sich: “Letzte Woche samma die Semmeln scho zum zwoatn Moi wia Ziaglstoana ausm Ofen kema. Die Situation ist nahezu existenzbedrohend!”

Solange die Zeiger aber in Passau liegen und auf ihre Rückkehr warten, dürfte das Dorfwohl weiterhin im Chaos verbleiben. Also, liebe Autofahrer, falls Sie demnächst Richtung Vachendorf unterwegs sind: Planen Sie lieber ein paar Minuten Extra-Zeit ein oder packen Sie vorsichtshalber gleich eine Taschenuhr ein. Aber fei ja das Aufziehen nicht vergessen!