Das römische Militärdiplom von Geiselprechting – wissenschaftliche Betrachtung

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Hintergrund und Fundort

Das in Geiselprechting bei Vachendorf gefundene römische Militärdiplom ist eine Bronze-Urkunde aus dem Jahr 64 n. Chr. (Regierungszeit Kaiser Nero) . Entdeckt wurde es bereits 1842 in Geiselprechting (vormals römische Provinz Noricum), nahe Traunstein in Oberbayern. Es handelt sich um eine von ursprünglich zwei zusammengehörenden Bronzetafeln (eine Doppeltafel), von der jedoch nur eine Hälfte erhalten ist . Dieses Diplom dokumentiert die ehrenvolle Entlassung eines Auxiliarsoldaten aus römischen Diensten und die Verleihung des römischen Bürgerrechts an ihn . Es gilt als das älteste exakt datierte Schriftdenkmal Bayerns .

Inhalt des Diploms

Das Militärdiplom von Geiselprechting (15. Juni 64 n. Chr.), ausgestellt auf Bronze. Der Text nennt Kaiser Nero, das Datum nach römischer Kalenderform, die Einheit und den Veteranen (Cattaus) samt Familie. Das Original befindet sich in München in der Archäologischen Staatssammlung (Inv.-Nr. HV 815).

Die Inschrift ist in Latein verfasst und beginnt mit der Nennung des Kaisers und des Datums. Es folgt der Kerntext, der dem Veteranen das Bürgerrecht und das Eherecht verleiht. Das Diplom nennt namentlich den Empfänger und dessen Familie. So heißt es u.a.: “…alae Gemellianae cui praeest Q. Pomponius Rufus… Cattao Bardi f(ilio) Helvetio et Sabinae Gammi filiae uxori eius Helvetiae et Vindelico f(ilio) eius et Materionae filiae eius…” . Dies benennt Cattaus, Sohn des Bardus, vom Stamm der Helvetier, sowie seine Frau Sabina (Tochter des Gam(m)us, ebenfalls Helvetierin) und ihre Kinder Vindelicus (Sohn) und Materiona (Tochter). Im Text wird festgehalten, dass Kaiser Nero diesen Personen das römische Bürgerrecht und das coniubium (rechtmäßige Ehe) gewährt. Anschließend nennt die Inschrift das genaue Datum in römischer Form und die amtierenden Konsuln: “ante diem XVII Kalendas Iulias C. Laecanio Basso, M. Licinio Crasso Frugi consulibus” – das entspricht dem 15. Juni 64 n. Chr. . Abschließend folgt der Hinweis, dass die Urkunde wörtlich von einer in Rom am Kapitol angebrachten Bronzetafel abgeschrieben und überprüft wurde (“descriptum et recognitum ex tabula aenea quae fixa est Romae in Capitolio…”) . Zudem sind am Ende die Namen von neun Zeugen aufgeführt, die die Authentizität der Urkunde bestätigen .

Datierung und historischer Kontext

Das Diplom trägt das Datum 15. Juni 64 n. Chr., was in die Regierungszeit Kaiser Nero (54–68 n. Chr.) fällt . Ausgestellt wurde es formal in der Provinz Raetia (Rätien) – dort war die betroffene Einheit stationiert – und gefunden wurde es in der Nachbarprovinz Noricum, wo sich der Veteran nach seiner Dienstzeit niedergelassen hatte . Die Konsulardatierung (unter den Konsuln Gaius Laecanius Bassus und Marcus Licinius Crassus Frugi) erlaubt eine exakte zeitliche Einordnung. Interessant ist, dass dieser Fund lange vor der sogenannten Constitutio Antoniniana (212 n. Chr., die allen Reichsbewohnern Bürgerrecht verlieh) datiert, was zeigt, dass schon im 1. Jahrhundert n. Chr. durch Einzelerlasse gezielt Ausländer in den Bürgerstatus erhoben wurden. Im Jahr 64 n. Chr. tobte zudem der Neronische Stadtbrand Roms (Juli 64); das Diplom datiert etwa einen Monat davor, in Neros 10. Amtsjahr .

Empfänger des Diploms und Zweck

Das Militärdiplom wurde individuell für den Veteranen Cattaus ausgestellt, der als Reiter in der Auxiliareinheit ala Gemelliana gedient hatte . Er stammt dem Namen nach aus dem Volk der Helvetier (im Gebiet der heutigen Schweiz) . Die Urkunde bestätigt seine ehrenhafte Entlassung (honesta missio) nach vermutlich 25 Dienstjahren und dokumentiert die Verleihung des römischen Bürgerrechts an ihn . Zugleich erhält er das Conubium, also das Recht, eine rechtmäßige Ehe zu führen . Dieses Eherecht galt für die bereits bestehende Verbindung mit seiner Partnerin Sabina (die vor Erhalt des Bürgerrechts rechtlich keine gültige Ehe gewesen wäre) ebenso wie für eventuelle zukünftige Ehen. Im konkreten Fall werden Sabina und die zwei gemeinsamen Kinder ausdrücklich genannt , was bedeutet, dass auch sie durch das Diplom den Rechtsstatus römischer Bürger (bzw. das legitime Kindesverhältnis) erhielten. Der Zweck des Diploms war somit, dem verdienten Soldaten Cattaus und seiner Familie offiziell die Rechte römischer Bürger zu verleihen, als Belohnung für seine langjährige Dienstzeit in den römischen Hilfstruppen. Für Cattaus bedeutete dies fortan soziale Aufwertung – er durfte nun z.B. legal in einer römischen Ehe leben, Eigentum nach römischem Recht besitzen und seinen Kindern den Bürgerstatus vererben. Solche Urkunden waren für die Veteranen von höchster Bedeutung, da sie ihre neuen Privilegien schwarz auf weiß belegten .

Allgemeines zu römischen Militärdiplomen

Römische Militärdiplome waren offizielle Urkunden, mit denen Kaiser per Erlass (constitutio) bestimmten Soldaten nach Ablauf ihrer Dienstzeit das Bürgerrecht verliehen. Sie wurden in der Kaiserzeit (1.–3. Jh. n. Chr.) vor allem an Nicht-Bürger in den Auxiliartruppen (Hilfstruppen) und teils an Marine-Soldaten ausgestellt, da Legionäre bereits römische Bürger waren. Ein Diplom bestand in der Regel aus zwei bronzenen Tafeln, die zusammengebunden und versiegelt wurden . Auf den Innenflächen war der lateinische Text der kaiserlichen Verfügung eingraviert, meist doppelt (eine identische Kopie auf jeder Tafelhälfte). Die Außenseite trug eine Zusammenfassung oder Wiederholung des Textes, die sichtbar war, während die versiegelten Innenseiten als amtlich beglaubigter Text galten. Inhalte eines Militärdiploms waren typischerweise:

• Name und Titel des Kaisers, oft mit Angabe seiner Amtsgewalt (z.B. tribunizische Amtsgewalt, Konsulatszahl etc.).

• Adressat und Anlass: meist eine generelle Formulierung wie “für die Soldaten der XY-Einheit, die ehrenhaft entlassen werden”.

• Rechtsakt: die Verleihung des civitas Romana (römisches Bürgerrecht) und des conubium (Eherecht) an diese Veteranen. Dabei wurde betont, dass jeder nur eine Ehe eingehen dürfe (“dumtaxat singuli singulas” – “jeweils einer [Mann] mit jeweils einer [Frau]”) .

• Persönliche Daten: der Name des einzelnen Veteranen, seines Vaters (zur Identifikation), sein Volksstamm oder Herkunftsort, sowie oft der Name der Einheit und des Kommandeurs, unter dem er gedient hatte . In vielen Fällen – so wie in Geiselprechting – werden auch der Name der Ehefrau und der Kinder aufgeführt, um klarzustellen, wem das conubium und Bürgerrecht mitgewährt wird .

• Datum und Ort: Die Datierung erfolgte meist per Angabe der amtierenden Konsuln und dem Kalendertag, was eine genaue Entsprechung im modernen Kalender zulässt (hier XVII Kal. Iul. = 15. Juni 64). Oft wurde auch die Provinz oder der Statthalter erwähnt.

• Beglaubigung: ein Passus, der bestätigt, dass der Text wortgetreu von einer in Rom öffentlich angebrachten Bronzetafel abgeschrieben wurde . Tatsächlich wurden die kaiserlichen Konstitutionen zentral in Rom (z.B. am Tempel des Jupiter auf dem Kapitol) veröffentlicht, und die Diplome sind Kopien davon.

• Zeugenliste: Am Ende stehen typischerweise die Namen mehrerer ranghoher Zeugen (oft sieben), die mit ihren Signets die versiegelten Innentafeln bezeugten . Diese Zeugen waren oft römische Beamte oder Ritter; ihre Namen auf den Diplomen helfen der modernen Forschung bei der Datierung und Bestätigung der Echtheit.

Die Funktion von Militärdiplomen war vor allem, dem Veteranen einen Nachweis seiner neuen Rechtsstellung zu geben, den er jederzeit vorlegen konnte. Damit konnte er z.B. bei Behörden oder Gerichten belegen, dass er römischer Bürger ist und rechtmäßig verheiratet. Für Historiker sind Militärdiplome heute eine wertvolle Quelle: Sie liefern präzise Daten (Datum, Herrscher), Informationen über die Stationierung römischer Einheiten, die Herkunft der Soldaten und ihre Namen, sowie Einblicke in die Vergabe der Bürgerrechte im Römischen Reich . In Süddeutschland (Raetien/Noricum) gefundene Diplome belegen z.B. oft die Ansiedlung entlassener Soldaten in dieser Region und ihre Integration in die römische Gesellschaft. Insgesamt sind mehrere Hundert Militärdiplome aus dem ganzen Imperium bekannt, einige davon auch aus Bayern (z.B. Funde bei Weißenburg, Eining, usw.), doch das Exemplar von Geiselprechting nimmt eine besondere Stellung ein, da es eines der frühesten datierten Diplome überhaupt und das früheste in Bayern ist .

Aufbewahrung und wissenschaftliche Aufarbeitung

Das Geiselprechtinger Militärdiplom befindet sich heute im Archäologischen Staatssammlung München (der staatlichen archäologischen Sammlung Bayerns) unter der Inventarnummer HV 815 . Dort ist es Teil der Dauerausstellung (Bürgerrechtsurkunde für einen Soldaten). Vor Ort in Geiselprechting informiert ein Schaukasten über den Fund , und das Diplom wird in der Region als besonderes Kulturdokument präsentiert. Wissenschaftlich ist die Inschrift umfangreich publiziert: Sie trägt die Bezeichnung CIL XVI, 5 im Corpus Inscriptionum Latinarum . Ebenso ist sie unter Inscriptiones Baivariae Romanae Nr. 509 (1915) und in weiteren epigraphischen Sammlungen verzeichnet . Erste Berichte erschienen schon im 19. Jahrhundert – etwa erwähnte Joseph von Hefner 1852 das Diplom in “Das römische Bayern in seinen Schrift- und Bildmalen” . In Fachaufsätzen wurde der Fund immer wieder diskutiert, unter anderem lieferte der Epigraphiker Herbert Nesselhauf einen Kommentar zu CIL XVI,5 und neuere Forschungen (z.B. Elisabeth Greene 2015) nutzen dieses und ähnliche Diplome, um die Familien der Soldaten und die Ausbreitung des Bürgerrechts zu untersuchen .

Quellen: Die Angaben basieren auf der veröffentlichten Inschrift des Diploms (CIL XVI,5) , dem Eintrag bei bavarikon (Archäologische Staatssammlung München) sowie auf Zusammenfassungen aus der Literatur und Datenbanken . Weitere Informationen bieten u.a. das Corpus Inscriptionum Latinarum, Band XVI, und regionale Museumsführer.