Warum in Bayern niemand den Zauberer-Jackl brennen sah
In Salzburg brannten die Scheiterhaufen. Kinder, arme Tagelöhner und Bettler wurden als „Hexenkinder“ hingerichtet. Zwischen 1675 und 1681 fielen über 130 Menschen einem der grausamsten Hexenprozesse Mitteleuropas zum Opfer – viele davon waren unter zehn Jahre alt.
Und in Bayern? Nur wenige Meilen entfernt? Nichts. Keine Verfolgung. Kein Prozess. Keine Hinrichtungen. Es ist eine historische Merkwürdigkeit, die auf den ersten Blick kaum erklärbar scheint – und genau deshalb so aufschlussreich ist.
Eine unsichtbare Grenze
Die geographische Nähe hätte eine Ausbreitung des Hexenwahns fast erwarten lassen. Doch zwischen Salzburg und dem bayerischen Oberland verlief zu dieser Zeit eine Grenze, die weit mehr war als nur eine Territoriallinie: eine Grenze im Denken, im Rechtssystem, im Machtverständnis.
Während der Salzburger Erzbischof Max Gandolph von Kuenburg als Fürstbischof mit absoluter Macht regierte – geistlich wie weltlich –, war das bayerische Herrschaftsgefüge durch ein komplexes Zusammenspiel aus weltlicher Obrigkeit, Justizbehörden und kirchlicher Disziplin geprägt. Diese Struktur machte Massenprozesse dieser Art schlicht unwahrscheinlich.
Auf der Flucht vor dem Scheiterhaufen
Dass viele Bettelkinder und Vaganten aus Salzburg nach Bayern flohen, ist gut belegt. Sie suchten Schutz vor der Verfolgung – und fanden ihn meist auch. Allerdings nicht aus Mitgefühl, sondern aus pragmatischen Gründen. In bayerischen Städten wie Wasserburg, Traunstein oder Burghausen wurden sie nicht als „verhext“ verfolgt, sondern als soziale Randgruppe unter Beobachtung gestellt.
Ja, es gab Spannungen. Die Bevölkerung war misstrauisch, die Obrigkeit reagierte mit Listen, Zuchthauszuweisungen und strenger Kontrolle. Aber es gab keine religiös motivierte Verfolgung. Die geflüchteten Kinder wurden als Ordnungsproblem betrachtet – nicht als Bedrohung durch den Teufel.
Warum blieb Bayern ruhig?
Die Antwort liegt in der unterschiedlichen Rechtskultur. In Bayern war der Einfluss juristisch geschulter Räte und Kanzleien längst spürbar. Die letzte größere Hexenwelle war vorbei. Die Obrigkeit sah Hexerei zunehmend als rechtlich problematische Anklageform – zu missbrauchsanfällig, zu irrational, zu gefährlich.
Zudem hätte ein massiver Kinderprozess politisch geschadet. Bayern stand unter Beobachtung – durch den Kaiser, durch den Reichshofrat, durch benachbarte Territorien. Einen blutigen Exzess wie in Salzburg konnte man sich schlicht nicht leisten.
Hexenwahn braucht Struktur
Was der Fall Jackl deutlich zeigt: Der Hexenwahn war kein spontaner Volkszorn. Er war organisiert. Er brauchte eine Verwaltung, die bereit war, ihm zu folgen. Er brauchte ein religiöses Weltbild, das den Teufel überall witterte. Und er brauchte eine Machtelite, die in der Verfolgung ein Mittel zur Herrschaftsausübung sah.
In Salzburg war all das vorhanden. In Bayern nicht mehr.
Ein blinder Fleck?
Verwunderlich bleibt es trotzdem. Dass die Bevölkerung im bayerischen Grenzgebiet die Ereignisse in Salzburg nicht kopiert hat – obwohl man sie zweifellos mitbekam. Gerüchte, Flüchtlingsströme – all das musste Eindruck hinterlassen. Und dennoch: keine Pogrome, keine Hetze, keine Massenprozesse. Nur Verwaltung, Kontrolle, Ordnung.
Ob das aus heutiger Sicht als Fortschritt gelten kann, sei dahingestellt. Aber es zeigt: Geschichte ist kein Naturgesetz. Auch inmitten eines Wahns kann Vernunft siegen – oder zumindest Machtkalkül.
Quellen
Koller, Heinrich (Hrsg.): Hexen und Zauberer vor dem Salzburger Strafgericht. In: Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde, 95 (1955), S. 157–203.
Höfler, Günther: Der Zauberer Jackl. Hexenverfolgung und Kinderprozesse in Salzburg. Salzburg: Otto Müller Verlag, 1992.
Decker, Rainer: Hexenwahn. Geschichte einer Verfolgung. München: C.H. Beck, 2004.
Behringer, Wolfgang: Hexenverfolgung in Bayern: Ein Überblick. In: Historisches Jahrbuch, Bd. 106 (1986), S. 293–313.
Märtl, Claudia: Hexenprozesse und Herrschaft in der Frühen Neuzeit. In: Zeitschrift für historische Forschung, 33. Jg. (2006), S. 209–232.
Salzburg Museum: Virtuelles Ausstellungsarchiv „Zauberer Jackl – Kinder in Angst und Flammen“. www.salzburgmuseum.at
Österreichische Mediathek: Audiobeiträge zum Thema „Zauberer Jackl“. www.mediathek.at