APOLOGIE DER XANTHIPPE
(aus dem Schatten des Sokrates)
Wer bist du, Mensch des 21. Jahrhunderts, dass du glaubst, ich müsste mich rechtfertigen?
Ich bin Xanthippe.
Du kennst meinen Namen – aber du kennst nicht mich. Du wiederholst nur, was man sich erzählt hat. Dass ich zänkisch sei, laut und ungeduldig, eine Prüfung für den Weisen.
Wie bequem das ist. Du richtest über mich, aus der sicheren Distanz jahrhundertelanger Wiederholung.
Aber ich frage zurück:
Was maßt ihr euch an, zu urteilen über eine Frau, die ihr gar nicht kennt?
Warst du denn dabei, als ich zum dritten Mal den Weinkrug füllte, weil die Schüler wieder bis Mitternacht bei ihm saßen?
Warst du dabei, als ich allein die Kinder tröstete, während er die Jugend Athens zur Tugend befragte?
Ich war da. Ich habe getragen. Ich habe gefragt. Ich habe widersprochen. Und vielleicht war das mein Fehler – dass ich ihn nicht angebetet habe. Dass ich nicht schwieg. Dass ich mir selbst treu blieb.
Ist eine Apologie der Xanthippe notwendig?
Nein. Nicht für mich. Ich muss mich nicht verteidigen. Ich habe gelebt, wie ich leben musste. Mit einem Mann, der jedem alles erklärte – und sich selbst entzog. Mit einem Geist, der in alle hineinhorchte – nur selten in mich.
Aber ich weiß: Er hat mich gebraucht. Nicht als Verzierung, sondern als Widerstand.
Ich habe ihn geliebt.
Die Notwendigkeit dieser Apologie liegt nicht in mir. Sie liegt in dir. In der Art, wie du mich betrachtest. Du hast auch keine andere Wahl, wenn du mich nicht anders sehen lernst.
Denn Schönheit – auch die meiner Wahrheit – entsteht nur in der Beziehung. Wenn du dich mir zuwendest, kann etwas wachsen. Nicht weil ich mich verändere. Sondern weil du es tust.
Also frag dich:
Warum brauchst du mich klein?
Warum soll ich die Furie sein, damit er der Weise bleibt?
Ich bin nicht deine Nebenfigur.
Ich bin Xanthippe.
Frau. Stimme. Kraft.
Und ich spreche jetzt