Eine Kultur zwischen Tradition und Wandel
Die Chamer Kultur, benannt nach dem Fundort Cham in der Oberpfalz, war eine der bedeutendsten prähistorischen Kulturen in Süddeutschland und Teilen Österreichs. Sie existierte etwa zwischen 3500 und 2700 v. Chr. und markiert den Übergang vom späten Neolithikum zur Frühbronzezeit. Während ihre Wurzeln tief in den bäuerlichen Traditionen der vorangegangenen Altheimer Kultur verankert sind, entwickelte die Chamer Kultur eigene Siedlungsformen, Werkzeuge und Keramiken, die sie deutlich von anderen neolithischen Gruppen abheben.
Leben in einer sich wandelnden Welt
Die Menschen der Chamer Kultur siedelten bevorzugt an Flüssen und Seen, wo sie Landwirtschaft betrieben und Vieh hielten. Ihre Siedlungen fanden sich entlang der Donau, im heutigen Niederbayern, der Oberpfalz, in Teilen Oberösterreichs sowie im alpinen Vorland. Sie waren die ersten, die sich dauerhaft auch in weniger fruchtbaren Regionen niederließen – etwa in der Fränkischen Alb oder im Bayerischen Wald.
Neben dem Ackerbau spielte der Fernhandel eine zentrale Rolle: Rohstoffe wie Kupfer, Obsidian oder besondere Gesteinsarten wurden über weite Strecken transportiert. Besonders auffällig sind die gut ausgearbeiteten Steinwerkzeuge, darunter Beile und Bohrer, die auf eine hoch entwickelte Handwerkskunst hinweisen.
Die Chamer Keramik – Ein Zeichen kultureller Identität
Eine der auffälligsten Hinterlassenschaften der Chamer Kultur ist ihre Keramik. Im Gegensatz zu früheren Kulturen, die oft aufwändig verzierte Gefäße hinterließen, war die Chamer Keramik schlicht, funktional und weitgehend unverziert. Die Gefäße waren oft zylindrisch oder konisch geformt und wurden aus lokalem Ton hergestellt.
Ein besonderes Merkmal ist die Verwendung von Fingereindrücken, Formstichen oder Kerben, die in einigen Fällen zu Dekorationszwecken angebracht wurden. Diese nüchterne, aber markante Gestaltung spiegelt möglicherweise eine neue, pragmatische Denkweise wider, die sich von den aufwendigen Symbolwelten früherer Kulturen distanzierte.
Siedlungsstrukturen und gesellschaftliche Organisation
Die Chamer Kultur ist vor allem für ihre Erdwerke bekannt – befestigte Siedlungen mit tiefen Gräben und Palisaden, die Schutz vor Überfällen boten. Diese Wehrbauten lassen darauf schließen, dass es in dieser Zeit bereits soziale Spannungen oder kriegerische Auseinandersetzungen gab.
Ein weiteres interessantes Element sind die Totenrituale. Bestattungen fanden häufig innerhalb der Siedlungen statt, was darauf hindeutet, dass die Ahnen eine besondere Rolle im Gemeinschaftsleben spielten. Während in früheren Kulturen oft Kollektivgräber vorherrschten, zeigen die Funde der Chamer Kultur vermehrt Einzelbestattungen, möglicherweise ein Zeichen für eine wachsende soziale Differenzierung.
Einfluss und Niedergang der Chamer Kultur
Die Chamer Kultur stand in engem Austausch mit benachbarten Gruppen. Besonders enge Verbindungen bestanden zur Münchshöfener Kultur in Niederbayern und zur Schnurkeramik-Kultur, die um 2700 v. Chr. in Mitteleuropa aufkam und die Chamer Kultur allmählich ablöste.
Warum genau die Chamer Kultur verschwand, ist nicht abschließend geklärt. Möglicherweise spielten klimatische Veränderungen, Konflikte oder Migration eine Rolle. Fest steht jedoch, dass ihre Technologien, Handelsnetzwerke und Siedlungsstrategien in die folgenden Kulturen übergingen.
Fazit: Eine unterschätzte Kultur mit großer Bedeutung
Die Chamer Kultur war eine Übergangskultur, die die Grundlagen für viele spätere Entwicklungen in Mitteleuropa legte. Ihr Einfluss reicht von der Einführung neuer Siedlungsstrukturen bis hin zu Handelsnetzwerken, die sich über große Distanzen erstreckten.
Lange Zeit wurde sie als regionale Randerscheinung betrachtet, doch neue Forschungsergebnisse zeigen, dass sie eine wichtige Rolle im kulturellen Wandel der Jungsteinzeit spielte. Ihre Menschen waren keine passiven Bauern, sondern geschickte Handwerker, Händler und möglicherweise auch Verteidiger ihrer Gemeinschaften.
Auch wenn ihr Name heute fast vergessen ist, so lebt ihr Erbe in den archäologischen Funden und den Nachfolgekulturen weiter.