Feldpost Nr. 012 – Josef Austermayer – Lechfeld, 8. September 1914


Metadaten (im Beitrag fett markieren):

Absender: Josef Austermayer

Empfänger: Seine Gefatterin

Ort: Lechfeld

Kartentyp: Brief

Inhalt: Bericht aus dem Gefangenenlager Lechfeld, über 8.000 französische Gefangene, Zwischenfälle mit französischem Bürgermeister und Pfarrer, harte Wachdienste, Wunsch nach Heimkehr, Einladung an den Vater, Lageeinschätzung mit religiösem Vertrauen


Feldpost einzel 012 1
Feldpost einzel 012 2
Feldpost einzel 012 3
Feldpost einzel 012 4
Feldpost einzel 012 5 und 013 1

Transkription:

Lechfeld, den 08. Sept. 1914

Werthe Gefatterin!

Habe Euren Brief mit Freuden erhalten und habe darin gelesen, daß der Irgl noch in München ist. Wenn ich’s gewußt hätte, hätte ich ihn aufgesucht, weil wir bereits acht Tage in München waren. Am 15. August kamen wir ins Lechfeld und bis jetzt sind wir noch im Lechfeld. Hier sind 7.000 bis 8.000 gefangene Franzosen, darunter ein französischer Bürgermeister. Der wollte einen Stadel anzünden, wo deutsche Verwundete darin waren, aber der Posten hat ihn noch rechtzeitig erwischt. Wie er in Lechfeld ankam, wollten ihn die Landwehrmänner gleich beim Kragen packen, aber das darf bei uns nicht sein. Er wird aber, wie uns der Herr Leutnant sagte, seinen Lohn schon empfangen.

Auch einen französischen Pfarrer haben sie gefangen genommen und ins Lechfeld gebracht, weil er von den Deutschen gefragt wurde, ob es im Dorfe sauber sei. Da sagte er ja, und kaum waren sie im Dorfe einmarschiert, so schoß man schon aus Fenstern und Kellern auf die Deutschen. Auf dieses hin wurde alles gefangen genommen.

Es ziehen bei uns jeden Tag 250 bis 300 Mann auf Wache mit scharf geladenem Gewehr und aufgepflanztem Seitengewehr. Es heißt auch fest aufpassen, denn die Strafen sind hoch, die sie uns androhen. Es liegen auch viele Verwundete hier. Es ist bedauerlich zum Anschauen, wenn man es betrachtet, und wenn man dann denkt, wie wird es den Unsern gehen. Da darf man gar nicht nachdenken, wir müssen mitmachen, kommt was kommen mag. Gott, der Allmächtige, wird es schon wissen, was recht ist und was nicht recht ist. Wir glauben, daß wir in einer gerechten Sache sind.

Das Lechfeld ist voller Soldaten, aber noch mehr gibt’s Franzosen – lauter Rothosen. Auch Artillerie ist da, und viele Zivil, die gekommen sind, um die Franzosen anzusehen. Im Anfang waren auch wir sehr neugierig, aber jetzt haben wir schon einen Ekel mit den vielen Wachen, die wir für sie machen müssen. Zivil dürfen jetzt keine mehr hereinkommen – außer sie haben einen Bekannten oder Verwandten. Wenn vielleicht der Vater Lust hätte, herauszufahren, so müsste er mich angeben als Vater, und ich würde ihn umherführen.

Wie lange wir noch hierbleiben, das weiß keiner. Auch kann es möglich sein, daß in etlichen Tagen auch wir fort müssen, wie uns der Herr Leutnant sagte – gerade nicht ins Feld, aber irgendwo auf Besatzung. Wir werden wahrscheinlich noch ärztlich untersucht. Ich bin soweit recht gesund. Jetzt ist halt das Wetter auch recht gut, aber wenn’s halt schlecht Wetter ist, dann wird mancher krank werden. Wir liegen, seit wir fort sind, immer auf Stroh.

Mein einziger Wunsch wäre, sobald als möglich, zu den Meinen heimzukehren, denn ich liebte sie alle so gern – aber es geht halt vielen so.

Wenn Ihr dem Irgl schreibt, dann schickt ihm von mir einen Gruß.

Als dankschuldiger Gevatter schließe ich mein Schreiben mit vieltausend Grüßen an Dich, an Vater und Mutter und alle im Hause

verbleibe ich

Josef Austermayer

Auch Gruß an Kamsperger.


🕯 Historische Einordnung & Anmerkungen:

Josef Austermayer schreibt vom Lechfeld – einem der zentralen bayerischen Lagerorte für Kriegsgefangene im Ersten Weltkrieg. Sein Brief vom 8. September 1914 vermittelt nicht nur die Lagerrealität, sondern auch die ambivalente Stimmung unter den Soldaten: einerseits militärischer Gehorsam, andererseits ein spürbarer Überdruss an der Routine, der Wache, dem Lageralltag.

Bemerkenswert ist sein Bericht über einen französischen Bürgermeister, der angeblich versucht habe, einen Stadel mit Verwundeten anzuzünden – ein Hinweis auf das Misstrauen und die Propaganda der frühen Kriegswochen. Auch der Vorfall mit dem Pfarrer zeigt, wie schnell Misstrauen in Strafmaßnahmen umschlagen konnte.

Josef schreibt nüchtern, aber mit einem tiefen religiösen Vertrauen – Gott wird schon wissen, was recht ist –, was typisch ist für Briefe dieser Zeit. Seine Sehnsucht nach der Familie bleibt unterschwellig der wichtigste Ton.

Die Erwähnung, dass Zivilisten nicht mehr ins Lager dürfen, zeigt, wie stark die militärische Kontrolle bereits durchorganisiert war – und wie sehr der Krieg auch im Hinterland Alltag wurde.

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