Tassilo III. – Der mit dem Kelch kam und ohne Krone ging

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Stell dir vor, du sitzt in Vachendorf beim Wirt, bestellst dir eine Maß – und plötzlich geht die Tür auf. Einer kommt rein, der schaut aus, als wär er direkt aus einem Wandteppich gestiegen: wallender Umhang, schulterlanges Haar, der Blick streng wie ein Kirchenfenster. Er setzt sich zu dir, klappt ein kleines Pergament auf, nickt bedächtig und sagt:

„Ich bin hier, um meinen Ruf zu retten. Und vielleicht einen Krug zu leeren.“

So oder so ähnlich stellt sich Tassilo III. vor – der letzte Herzog aus dem Haus der Agilolfinger, der Bayern beinahe zu einem eigenen Königreich gemacht hätte, hätte da nicht einer namens Karl die Bühne betreten.


Biografische Daten

Geboren: um 741

Gestorben: nach 794

Dynastie: Agilolfinger

Vater: Odilo von Bayern

Ehefrau: Liutberga

Herrschaftszeit: 748–788

Residenzen: Regensburg, Freising, Niederaltaich

Bekannt für: Klostergründungen, Konflikt mit Karl dem Großen


Ein Herzog zwischen Kreuz und Krone

Tassilo hat früh Verantwortung übernehmen müssen. Als sein Vater starb, war er noch ein Kind – und musste trotzdem regieren. Natürlich unter fränkischer Vormundschaft. Doch der junge Herzog hat sich schnell emanzipiert und sein eigenes Bayern geführt: eigenständig, selbstbewusst und kirchentreu.

Er hat Klöster gegründet, wie Kremsmünster, und Bayern in das Netz des christlichen Europas eingebunden. Nicht aus blindem Glauben – sondern weil er wusste, dass Klöster Macht bedeuten: Kultur, Schrift, Einfluss.

Sein größter Fehler? Vielleicht war es nicht Hochmut, sondern zu viel Selbstständigkeit. Er hat versucht, sich den großen Karolingern zu entziehen, wollte Bayern nicht einfach eingliedern lassen. Das hat Karl dem Großen nicht gefallen. Über Jahre hinweg hat sich die Schlinge zugezogen. Erst wurde Tassilo isoliert, dann politisch vorgeführt – und schließlich 788 in Ingelheim zum Verzicht gezwungen.


Vom Thron in die Verbannung

Was folgte, war kein dramatischer Sturz, sondern ein schleichender Abgang. Tassilo wurde in ein Kloster gesteckt, vermutlich Lorsch oder Jumièges. Er durfte leben – aber nicht mehr herrschen. 794 taucht er ein letztes Mal öffentlich auf, bei der Synode von Frankfurt. Danach verliert sich seine Spur.

Aber sein Einfluss lebt weiter: Die von ihm gegründeten Klöster blühten, der sogenannte Tassilokelch, heute in Kremsmünster, ist ein Meisterwerk frühmittelalterlicher Kunst – ein stummes Zeugnis seines kulturellen Wirkens.


Was hat er in Vachendorf verloren?

Auf den ersten Blick nicht viel – kein Denkmal, kein Straßenschild. Und doch: Wer die Geschichte Bayerns verstehen will, kommt an Tassilo nicht vorbei. Denn er war es, der das frühe Bayern überhaupt erst als eigenständige Einheit sichtbar gemacht hat – bevor es ins fränkische Reich eingegliedert wurde.

Für Vachendorf bedeutet das: Auch unser Dorf liegt auf Boden, der einst Teil dieses selbstbewussten Herzogtums war. Klöster, wie sie Tassilo förderte, bestimmten über Jahrhunderte das geistige und wirtschaftliche Leben – auch bei uns im Chiemgau. Und wer heute über Gemeindeautonomie, bayerische Eigenständigkeit oder kulturelle Identität diskutiert, steht – bewusst oder nicht – auf den Spuren eines Mannes, der Bayern einst auf die Karte setzte.


Was bleibt?

Ein Herzog, der zu früh zu viel wollte? Vielleicht. Oder ein Visionär, der wusste, dass Bayern mehr sein kann als nur ein Zipfel im Frankenreich. In der Geschichte hat man ihn lange als Schwächling abgetan. Aber im Phantom-Wirt sitzt er gerade mit erhobenem Krug – und murmelt:

„Ingelheim war kein Spaß. Aber mein Kelch ist schöner als Karls Krone.“