Die Kleine Eiszeit – Hunger, Frost und Anpassung (ca. 1310–1850)

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1. Einleitung

Die sogenannte „Kleine Eiszeit“ war eine der klimatisch instabilsten und kühlsten Phasen der letzten 2000 Jahre. Sie beeinflusste Landwirtschaft, Bevölkerung, Gesundheit und Kultur tiefgreifend. Ihre Auswirkungen waren im Alpenvorland und speziell im Chiemgau deutlich spürbar – in Form von Ernteausfällen, Almrückgang, Teuerung und sozialen Spannungen.

2. Datierung und Verlauf

Die Kleine Eiszeit war keine durchgehend kalte Periode, sondern ein Mosaik aus extremen Einzeljahren, Jahrzehnten und längeren Abkühlungsphasen. Besonders markant:

  • 1315–17: Große Hungersnot durch Dauerregen
  • 1675–76: Jahr ohne Sommer (Frost bis Juni, Schneefall im Juli)
  • 1816: „Jahr ohne Sommer“ nach Vulkanausbruch Tambora

Dazwischen lagen immer wieder kurze milde Episoden – dennoch war der Gesamteindruck kühl, feucht, instabil.

3. Klimatische Kennzeichen

Typisch für die Kleine Eiszeit im südostbayerischen Raum:

  • vermehrte Spätfröste und extreme Winter
  • niedrige Sommermitteltemperaturen
  • Gletscher-Vorstöße (z. B. Berchtesgaden, Stubai)
  • häufige Überschwemmungen und Muren im Alpenraum

Die dendrochronologischen Jahresringe zeigen schmalere Wachstumszonen, was auf eingeschränkten Baum- und Getreidewuchs hinweist.

4. Auswirkungen auf den Chiemgau

Im Chiemgau traten folgende Entwicklungen ein:

  • Verkürzung der Vegetationszeit – geringere Erträge bei Getreide
  • Rückgang der Almwirtschaft – Verlagerung in tiefere Lagen
  • Stärkere Abhängigkeit vom Vieh (Milchwirtschaft, Heuwirtschaft)
  • Zunahme von Armut und Migration – teils belegt durch Kirchenbücher

Zudem häuften sich soziale Konflikte: Unruhen, Hexenverfolgungen und Teuerungskrisen korrelierten oft mit Klimanotjahren.

5. Schriftquellen und Chroniken

Regionale Klöster und Pfarrämter berichten mehrfach von:

  • Ernteausfällen, Hagel, Schnee im Sommer
  • Hungertoten („der Tod ging durchs Dorf“)
  • Hilfsaktionen der Grundherren oder Kirchen

In den Matrikelbüchern spiegeln sich klimabedingte Krisen oft in gehäuften Todesfällen oder Taufen nach Teuerungsjahren.

6. Anpassung und Widerstandskraft

Trotz der Härten zeigten sich vielfältige Anpassungsstrategien:

  • Wechsel zu robusteren Getreidesorten (z. B. Hafer, Roggen)
  • Ausbau der Vorratswirtschaft (Darren, Speicher, Eiskeller)
  • Stärkung des Genossenschaftswesens (Gemeindebacköfen, Allmendenutzung)

Die bäuerlichen Kulturen entwickelten eine hohe Resilienz, die bis in die Neuzeit nachwirkt.

7. Fazit

Die Kleine Eiszeit war keine Katastrophe, aber eine Phase der Belastung. Sie verlangsamte die Entwicklung, forderte große Flexibilität und ließ viele überlieferte Lebensformen entstehen, die bis ins 19. Jahrhundert prägend blieben. In der Heimatforschung des Chiemgaus zeigt sich: Der Mensch arrangierte sich – nicht ohne Leid, aber mit bemerkenswerter Anpassungsfähigkeit.


Literatur und Quellen

  • Christian Pfister: Klimageschichte der Neuzeit, München 1999.
  • J. Sirocko (Hg.): Klima und Kulturgeschichte, Stuttgart 2012.
  • H. Schwarz-Zanetti: Die Kleine Eiszeit und ihre sozialen Folgen, Bern 2005.
  • Kirchenbücher und Chroniken der Pfarreien im Chiemgau (16.–19. Jh.)
  • Dendro-Daten der Universität Hohenheim, PAGES 2k Netzwerk
Zur Übersicht:
Klimageschichte des Chiemgaus

Reihe:
1. Vom Eis zum Acker (Neolithikum–Bronzezeit)
2. Eisenzeit & Römische Warmzeit
3. Kälte & Umbruch (Spätantike–Frühmittelalter)
4. Mittelalterliche Warmzeit
5. Kleine Eiszeit
6. Neuzeit & Anthropozän